Hexen in Wiltingen

EIN WEITGEHEND UNERFORSCHTES KAPITEL DER HEIMATGESCHICHTE

VON THOMAS MÜLLER

 

Der Glaube an Zauberer und Hexen, die durch ihr Wirken Schaden über Mensch, Tier und Umwelt brächten, ist ein uralter menschlicher Aberglaube. Als Hexe bezeichnet man im Volksglauben vorrangig Frauen, die im Bund mit Teufel und Dämonen stehen. Männer treten als Hexenmeister oder Zauberer in Erscheinung. 

Sie seien in der Lage, durch die Luft zu reiten, einen anderen Leib annehmen, das Wetter zu machen, als Kräuterfrau Zaubertränke zu mischen und halten orgiastische Versammlungen und Hexentänze ab. Als Wahrsager und Zauberer haben sie dem Glauben an Gott abgesagt und seien also mit dem Teufel im Bunde.


Somit gegen den wahren Glauben gerichtet, wurden Hexerei und Zauberei schon seit dem Mittelalter durch die Inquisition verfolgt.[1] Die Bestrafung erfolgte dabei stets durch ein weltliches Gericht. Hexenprozesse wurden nach besonderen Verfahrensgrundsätzen geführt. Meist stand am Beginn eines Verfahrens die Denunziation. Ein Reinigungseid war unzu­lässig.


Im Beweisverfahren dominierte die Folter. Auch wurden Gottesurteile und Hexenproben angewandt. Das Verhör richtete sich nach einem speziellen Fragekatalog, wobei oftmals weitere Personen denunziert wurden. Die Verteidigung war erschwert und oftmals für den Verteidiger und auch die Richter selbst nicht ungefährlich, konnten doch auch sie als Komplizen benannt werden. Als gängige Strafe setzte sich alsbald der Feuertod auf dem Scheiterhaufen oder in einer Strohhütte durch.


Wenn auch einzelne Verfahren gegen Zauberei bereits im 14. Jahrhundert festzustellen sind, kann man von einer systematischen Verfolgung von Hexen erst in Folge der „Hexenbulle“ Papst Innozenz‘ VIII. (1484) und dem Erscheinen des „Handbuches“ der Hexenverfolger, dem Malleus maleficarum oder „Hexenhammer“ der beiden Inquisitoren Jacob Sprenger und Heinrich Institoris (1487) sprechen.


Im Kurfürstentum Trier fand eine erste Verfolgung mit 30 Opfern bereits zwischen 1492 und 1494 statt. Ist zu Beginn noch religiöser Eifer als ein Hauptmotiv auszumachen, so tritt dieses bald hinter wirtschaftliche und soziale Probleme zurück. So ist es kein Zufall, dass Missernten, Seuchen und Teuerungsjahre Auslöser für neue Verfolgungswellen sind, die im 16. und 17. Jahrhundert ihren Höhepunkt erleben und nach einigen Schätzungen mehrere zehn-, wenn nicht gar hunderttausend Opfer forderten. Allein für Kurtrier rechnet man mit weit über 1000 Hingerichteten.


Eine der furchtbarsten Verfolgungen fand im Erzstift Trier zwischen 1585 und 1593 statt, nachdem erste Verfolgungen bereits 1572 eingesetzt hatten. Diese Verfolgung setzte sowohl in ihrem Ausmaß, als auch in ihren Wirkungen völlig neue Maßstäbe. In ihrer Resonanz wurde sie zum reichsweiten Exempel und erstmals fielen ihr nicht nur Mitglieder der unteren Schichten, sondern auch Adlige und Beamte des Bischofs zum Opfer. Doch es ist auch Trier, in dem sich erstmals 1592 durch den Theologen Cornelius Loos Widerspruch gegen die Verfolgung  von Hexen artikulierte.


Eine zeitgenössische Kölner Chronik schreibt über die Verfolgung des Jahres 1589: „Der Kurfürst von Trier habe innen und außen Trier viele Zauberer und Zauberinnen, Männer und Frauen, Geistliche und Weltliche, gefangen, verbrannt und ertränkt. (...) Mich gibt es Wunder, dass es in dem katholischen und heiligen Stifte von Trier so viele böse Weiber gibt, warum dem Teufel dort von Gott mehr die Zauberei gestattet werden soll als in der Stadt Köln.“[2] Eine Straßburger Chronik schreibt hierzu: „Wir wissen, dass im Bistum Trier auf die 300 Personen wegen der Zauberei verbrannt worden sind. In einem Dorf habe man alle Weiber verbrannt, aus­genommen zwei. Unter den oben genannten 300 seien viele alte Pfaffenköchinnen gefunden worden. Auch sind viele ausgerissen und entlaufen.“[3]

In einem Verzeichnis von hingerichteten und als Hexen besagten Personen aus dem Trierer Land aus den Jahren 1586-1594, das von dem Amtmann des Trierer Klosters St. Maximin, Claudius Musiel, angelegt wurde,[4] finden sich die Namen von 306 hingerichteten und nicht weniger als 1380 denunzierten Personen. Allein in Pfalzel werden in einem Jahr 118 Personen als Hexen angeklagt. In den acht Jahren, die das Register umfasst, werden im Amt Maximin u.a. in Oberemmel 27 Personen, in Kenn 26 und in Fell 19 als Hexen verurteilt und hingerichtet. Jeder der Hingerichteten musste während des Verhörs die Namen von Mitstreitern nennen, so dass z.T. von einer Angeklagten mehrere Dutzend neue Personen beschuldigt werden. Allein in dem Wiltingen benachbarten Oberemmel werden ca. 400 Personen, also faktisch der gesamte Ort als Hexen denunziert, in Longuich über 1000! Oberemmler Angeklagte nennen unter der Folter auch ca. 100 Namen von Einwohnern aus Wiltingen, das jedoch nicht im Amtsbereich der Maximiner Amtsleute lag. 100 Personen, das sind bei 36 Haushalten vom Jahre 1537 ca. ¼ alle Einwohner!


Da Wiltingen jedoch ein Teil des Herzogtums Luxemburg war[5], hatten die trierischen bzw. maximiner Amtleute keine direkte Handhabe, die besagten Personen dort vorzuladen, zu vernehmen oder ihnen direkt den Prozess zu machen. 

Dies führte den Wiltinger Pastor, Dechant Christoph Schauffler, der zwischen 1888 und 1901 eine umfangreiche handschriftliche Chronik der Pfarrei und der Gemeinde Wiltingen verfasste, am Ende des Kapitels über den „Hexenwahn“ zu der Aussage: „Wir können dieses Kapitel mit der wohltuenden Wahrnehmung schließen, dass der Würgengel der Hexenverfolgung an Wiltingen gnädig vorübergegangen zu sein scheint.


So gravierend auch die Aussagen einiger Oberemmel Verklagten vor Gericht [...] waren, so scheint doch die Luxemburger Regierung glücklicherweise von diesen Aussagen nichts erfahren oder keine Notiz genommen zu haben. In der Pfarrei weiß man nichts davon je gehört zu haben, dass vor 300 Jahren ein Hexenprozess im Wiltinger Hochgericht stattgefunden hat.“[6] 

In der 1976 verfassten Ortschronik heißt es gar: „Hinrichtungen in Wiltingen sind nicht nachweisbar.“[7]

Tatsächlich bildete aber auch die luxemburgische Herrschaft Wiltingen-Kanzem keine „verfolgungsfreie Insel“. Es ist inzwischen sicher, dass es auch in Wiltingen zu Hexen­prozessen mit Hinrichtungen kam.


1451 wird erstmals im Bistum Trier eine Frau als Hexe angeklagt – in Wiltingen. Sie wird jedoch durch ein Wunder der Gottesmutter gerettet.[8] Was war geschehen?

Angeklagt ist eine „Katharina de Wiltinck“, die gefesselt in das Gefängnis beim Gerichtshaus am Spilles[9] geworfen wird. In ihrer Not betet sie zur Gottesmutter. Als man sie am anderen Tag zum Verhör bringen will, findet man die Fesseln gelöst und schenkt Katharina Glauben, die von einem Marienwunder erzählt. Als somit erwiesenermaßen unschuldig wird sie entlassen. Somit endete diese erste Anklage gegen eine Hexe noch glimpflich.

 

Trotz eines anderen Landesherrn konnte man sich in Wiltingen nicht in Sicherheit wiegen. Fand doch zwischen den Amtspersonen verschiedener Ämter und Herrschaften ein Austausch von Akten und Informationen statt, wie der nachfolgende Fall zeigt.

Die große Verfolgung setzte im Amt Maximin im Mai 1586 ein. Wohl nicht von ungefähr kam es ausgerechnet in einer maximinischen Exklave, dem Hochgericht Oberemmel, zu den ersten Prozessen gegen vermeintliche Hexen.


Aus der Umgebung, dem Amt Saarburg, dem Hochgericht St. Matthias um den Benrather Hof und der Herrschaft Wiltingen, wo Hexenprozesse bereits ihre Opfer gefunden hatten, sprang der Funke auch auf das Hochgericht Oberemmel über.[10] Sehr wohl wusste man also in den beiden Nachbarorten über die jeweiligen Vorgänge Bescheid.


Der Notar des Wiltinger Gerichts, der Trierer Stadtschreiber Peter Dronckmann, sendet am 18. Januar 1587 den Extrakt aus der Urgicht der am 20. Dezember 1586 hingerichteten Suin Becker aus Wiltingen an seinen Vetter, den Amtmann von St. Maximin, Hans Piesport. Dieser war zusammen mit Claudius Musiel einer der eifrigsten Hexenjäger.[11] Ein frühes Beispiel eifriger Amtshilfe mit der Aufforderung, er möge desgleichen tun, um das große Laster der Zauberei zu strafen.


Der zusammenfassende Bericht über den Prozess der Suin Becker, die am 20. Dezember 1586 hingerichtet wurde, findet sich in der Prozeßakte der Margreth Kho aus Oberemmel.[12] Sie war am 21. April 1587 verhaftet, anschließend verhört und bereits am 16. Mai desselben Jahres hingerichtet worden. Auch in den Aussagen von sieben weiteren in Oberemmel verhörten Frauen wird Suin Becker als Hexe denunziert, einmal mit der präziseren Angabe, sie sei „zu Wiltingen Oberste [Hexe]“ und habe „bei der Steinbrucken vur drey Jaren Wein verdorben.“[13]


Suin oder Susanna Becker bekannte sich während ihrer peinlichen Befragung, also unter der Folter, folgender Vergehen: Sie habe einer Versammlung von Hexen, die sich „bei der Stein­brücken“ getroffen haben, angehört, die das Wetter im Sommer 1585 verdorben habe. Dadurch seien das Korn und die Trauben in der Blüte verdorrt. Dies habe man mit einem Teufelsritus erreicht. Wiederum war eine Mißernte als Auslöser der Auslöser von Prozessen.

Im Laufe ihres Verhörs nennt Suin Becker die Namen von zwei Oberemmler Frauen, nämlich Margreth, Kho Theißens Frau von Emmel und Eva Lorentz von Emmel, die Schwester eines Kires, Meier von Wiltingen. Um auch diesen Hexen habhaft zu werden und ihr schädliches Treiben zu beenden, sendet der Wiltinger Notar Peter Dronckmann das Protokoll seinem St. Maximiner Amtskollegen, der sogleich in Oberemmel seine Arbeit aufnimmt.


Bereits ein Jahr nach der ersten bekanntgewordenen Hinrichtung einer Wiltinger Hexe wird 1587 aufgrund einer Beschuldigung des Wiltinger Pastors Johansen Anna Bourg verhaftet und angeklagt. Dabei wird sie immer wieder von Personen belastet, die teilweise selbst unter Zwang zur Aussage genötigt wurden. Trotz Anwendung „unerhorter Pein“, die so stark war, „dass sie die tag Ihres lebens eine marterin bleiben werde“, leugnet die Beschuldigte die ihr zu Last gelegten Taten. Da die Zeugen jedoch nach und nach zugeben, falsch ausgesagt zu haben, wird der Prozess an die luxemburgische Regierung weitergeleitet und schließlich am 20. Januar 1596 – nach acht Jahren! – mit einem Freispruch beendet.


Weitere Informationen zu Hexenprozessen in der luxemburgischen Herrschaft Wiltingen-Kanzem war durch die Auswertung der im Landeshauptarchiv in Koblenz vorhandenen Gerichtsbücher der Herrschaft zu erhoffen. Das älteste Gerichtsbuch schließt mit den Jahren 1563-1741 den Zeitraum der Verfolgungen ein und zählt 438 Seiten. Doch zeigte die Durchsicht, dass hier keine Prozessniederschriften zu finden waren. Vermutlich mussten diese dem Appellationsgericht in Grevenmacher vorgelegt werden bzw. wurden solche Prozesse dort geführt.[14] So könnten sich Akten über Hexenprozesse in den Beständen des Gerichts Grevenmachern im Landesarchiv in Luxemburg befinden.


Nach dem Höhepunkt dieser Verfolgung kam es 1629-31 im Amt Maximin erneut zu Prozessen. Um die gleiche Zeit, im Jahre 1631, erschien das Werk „Cautio criminalis“ des Trierer Jesuiten Friedrich Spee von Langenfels. Mit diesem bedeutendsten Werk der Kritik am Hexenwahn setzte das allmähliches Ende der massenhaften Verfolgungen ein. 1640-42 hören wir letztmalig von einer größeren Verfolgungswelle im Amt St. Maximin.


Dass jedoch der Glaube an Hexen in der Bevölkerung weiter lebte, zeigt sich nicht nur in den stetigen Ermahnungen gegen Praktizieren von Aberglauben (Weissagungen u.a.), Fluchen und Gotteslästerungen in den Visitationsprotokollen der Pfarrei Wiltingen aus den Jahren 1627, 1659 und 1739.[15] Auch der als Hexentanzplatz in den Verhören genannte Ort an der Steinbrücke[16] erregte wohl noch lange die Gemüter. Eine Wiltinger Frau, die „Trein Schneiders Theißßens, des Meyers Hausfrauwe“ soll die Treffen „uff einem gulden Sessel“ geleitet haben.[17]

Dies sei der Grund gewesen, so vermutet Dechant Schauffler in seiner Pfarrchronik, dass Pastor Matthias Heins 1709 als Sühne für die Versammlungen und zur Heiligung des Ortes ein noch heute an der Brücke über den Oberemmeler Bach stehendes Kreuz aufstellen ließ. 


Das Wegekreuz, das den Besuch der Jungfrau Maria bei der Hl. Elisabeth darstellt, ist durch häufigen Standortwechsel sowie durch Frost und Hochwasser stark beschädigt worden. Inzwischen ist es fachkundig restauriert und in seinem ursprünglichen Zustand wieder an seinem alten Standort aufgestellt worden – dem „Hexentanzplatz“ an der Steinbrücke bei Wiltingen.

 

[1] Richard Kieckhefer, Magie im Mittelalter, München 1995, S. 202ff.

[2] Zit. nach: Hexen und Hexenprozesse in Deutschland, hsg. v. Wolfgang Beringer, München 2., überarb. Aufl. 1993, S. 203-204.

[3] Ebenda, S. 204.

[4] Das Hexenregister des Claudius Musiel. Ein Verzeichnis von hingerichteten und besagten Personen aus dem Trierer Land (1586-1594), bearb. v. Rita Voltmer u. Karl Weisenstein, Trier 1996 (Trierer Hexenprozesse; 2); im folgenden kurz Musielregister zitiert.

[5] Der Streit zwischen dem Kurfürstentum Trier und dem Herzogtum Luxemburg um die Herrschaft Wiltingen-Kanzem, die als Enklave ganz vom Trierer Kurstaat umgeben war, wurde 1548 in einem Concordat beigelegt, auch wenn es bis zum Ende des 18. Jahrhunderts immer wieder zu Streitigkeiten kam. Vgl. WIGE – Wiltinger Geschichte(n), Heft 4, 1996, S. 17-19.

[6] Pfarrchronik Wiltingen, von Dechant Christoph Schauffler, zwei handgeschriebene Bände, Wiltingen um 1900. Zitiert nach einer masch. Abschrift.

[7] Christoph Schauffler, Wiltingen. Entwicklung, Landschaft und Geschichte, hsg. V. Karl E. Becker, o.O. [Wiltingen] 1976, S. 130.

[8] Die Mirakelbücher des Klosters Eberhardsklausen, bearb. v. Paul Hoffmann u. Peter Dohms, Düsseldorf 1988 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde; 64), S. 57, Nr. 88.

[9] Der Keller lag dem Gerichtshaus, dem heutigen Warsberger Hof, gegenüber. Erst vor wenigen Jahrzehnten wurde der ungenutzte Raum zugeschüttet 

[1] Musielregister, S. 33*.

[11] Musielregister, S. 60*-61*.

[12] LHA Koblenz, 211, Nr. 2979. Vgl. Musielregister, Nr. 10, S. 8-9.

[13] Musielregister, Nr. 142, S. 63.

[14] Bereits zu Beginn ist der Versuch des Richters von Grevenmacher nachweisbar, Hochgerichtsprozesse und damit verbundene Hinrichtungen an sich zu ziehen. 1517 wurden ein „Zuckheim von Wiltingen“ und ein „Bomelgen von Canzem“ wegen Diebstahls in Machern gehängt. Vgl. WIGE – Wiltinger Geschichte(n), Heft 15, 1999, S. 5.

[15] Vgl. WIGE – Wiltinger Geschichte(n), Heft 5, 1996, S. 9. Abschriften der Visitationsprotokolle befinden sich im Pfarrarchiv in Wiltingen.

[16] Im Musielregister wird er insgesamt sieben Mal als Tanz- und Versammlungsplatz der Hexen genannt.

[17] Musielregister, Nr. 320, S. 145.