Das Ende des zweiten Weltkrieges

Mit dem Herannahen der Front Ende 1944 kam der Krieg, der so weit entfernt schien, auch nach Wiltingen. Der Bau des Westwalls, von Bunkern und Höckerlinien sowie Panzer- und Schützengräben, Einquartierungen von Soldaten, die erste Evakuierung von September bis Dezember 1939, wachsende Knappheit an Versorgungsmitteln und selbstverständlich die Rekrutierungen von Wiltinger Männern zum Kriegsdienst, hatten jedoch den Kriegszustand stets präsent sein lassen.

 

Schon seit dem Frühsommer 1944 wurden von Hitlerjungen und anderen Arbeitern Panzergräben, die 7m breit und 4m tief waren, sowie zahlreiche Laufgräben angelegt. Diese sind noch heute in der Gemarkung sichtbar. Seit amerikanische Truppen im September 1944 bei Diekirch die Reichsgrenze erreicht hatten, war jederzeit mit Kämpfen in unserer Region zu rechnen.


Am 3. Dezember 1944 erging der Befehl zur zweiten Räumung Wiltingens, dem etwa 2/3 aller Dorfbewohner folgten. Gleichzeitig wurde der Unterricht eingestellt und die Kirche geräumt. Wegen der Fliegergefahr konnten Arbeiten fast nur noch im Dunkeln vorgenommen werden, so auch Beerdigungen. Der Gottesdienst fand ebenfalls nachts und frühmorgens im Pfarrhauskeller statt. Vereinzelte Bomben- und Granattreffer führten zu Schäden am Pfarrhaus, der Pfarrkirche und einzelnen Häusern, vor allem in der „Triwelsgaaß“ (Brückenstraße). 

 

Hier waren seit September 1944 die Saarbrücke und eine sich in der Nähe befindende Flakstellung das Ziel amerikanischen Jagdbomberangriffe. Bei einem Volltreffer auf diese Stellung gab es am 4. Oktober 1944 acht oder neun Tote. 


Die Brücke erhielt am ersten Bogen zwei Treffer, war jedoch noch bis zuletzt gut befahrbar.

Am 19./20. Februar konnten die US-Truppen den sogenannten „Orscholz-Riegel“ durchbrechen. Hastig wurden die deutschen Einheiten hinter den „Westwall“ an der Saar zurückgezogen und den Angreifern der Saargau überlassen. Diese versuchten möglichst schnell zu den Saarbrücken vorzustoßen. Um den 24. Februar erreichten die ersten alliierten Einheiten Kanzem. Ihr Ziel, die dortige Brücke, war allerdings zwischen dem 21. und 23. Februar gesprengt worden.


Ebenso erging es der Wiltinger Saarbrücke und der Brücke über die Bahnlinie nach Konz sowie der Betonröhre unter der Eisenbahn in Richtung „Gottesfuß“, die allesamt in der Nacht vom 21. auf den 22. Februar gegen 23 Uhr von zurückfließenden deutschen Truppen gesprengt worden waren.

Schon in der Nacht vom 22. auf den 23. Februar setzten amerikanische Truppen des 376. Infanterieregiments zwischen Schoden und Ockfen unterhalb des Bismarckturmes über die Saar. Ein erster Versuch war einige Stunden zuvor unter hohen Verlusten gescheitert. In der Folge kam es sowohl in Ayl als auch in Ockfen und Irsch zu schweren Kämpfen. Auch beim Vormarsch auf Schoden stießen die Amerikaner auf Widerstand. Alle Ortschaften wurden durch die Kämpfe der folgenden Tage schwer in Mitleidenschaft gezogen.

 

Die Westwallbunker südlich und nördlich von Wiltingen, 1938/39 von bis zu 1500 Westwall-Arbeitern, die im Ort einquartiert wurden, erbaut, waren mit Einheiten des Feldersatzbataillons 1560 sowie der Bewährungskompanie 999 besetzt. Um diese zu umgehen, rückten am 28. Februar die Amerikaner mit ihrem 1. Bataillon von Schoden, das am 27. Februar besetzt worden war,  der Saar entlang über „Felsend“ vor, wobei 13 Bunker teilweise im Nahkampf überwunden werden mußten. Das 2. und 3. Bataillon stießen am selben Tag von Ockfen aus über den Irminer Wald durch den Wiltinger Wald in Richtung Scharzhof vor. Wiltingen wurde zunächst „links liegengelassen“, so daß der Ort von drei Seiten eingeschlossen wurde.

 

Am späten Nachmittag des 28. Februar standen amerikanische Einheiten in einer Stellung, von der die Straße Wiltingen-Oberemmel einzusehen war. Die Südseite des Scharzhofberges, den Amerikanern gegenüber, sollte in dieser Nacht durch das 3. Bataillon besetzt werden. Eine Infanteriekompanie und eine MG-Gruppe konnte nach kurzem Nahkampf die MG-Stellung der Deutschen auf der Bergspitze einnehmen. Doch entkam ein Offizier, der deutsches Artilleriefeuer auf die Amerikaner lenkte, die sich nicht zurückziehen konnten und dem Granateinschlag schutzlos ausgeliefert war. Die Hälfte der GIs war gefallen, als der Berg am anderen Morgen von den Deutschen aufgegeben wurde.

Am frühen Morgen des 1. März tastet sich eine amerikanische Kompanie versehentlich nach Wiltingen hinein, wo sie auf deutsche Truppen stieß und sich, als sie ihren Irrtum bemerkte, rasch zurückzog. Noch war kein Befehl gegeben, Wiltingen zu besetzen.

An diesem 1. März nun wurde Wiltingen kampflos von den amerikanischen Truppen besetzt. Dies trug sich folgendermaßen zu:

Die Amerikaner hielten das westliche Saarufer besetzt. Schon seit dem 24. Februar waren im Kanzemer Wald Motorengeräusche vernehmbar. Die recht zahlreiche Bevölkerung hielt sich meist in den Kellern auf. Durch die Kämpfe um die Bunker zwischen Schoden und Wiltingen, am Scharzhof und die Aktion der fehlgeleiteten Kompanie wußten die Amerikaner, daß sich in Wiltingen noch Truppen befanden. Es handelte sich nur um eine schwache Einheit, etwa eine kampfstarke Kompanie, jedoch ohne schwere Waffen, die den Auftrag besaß, das Vorfeld der Bunkerlinie im Raum Konz-Kommlingen zu sichern.

 

Daß sich die Soldaten ihrer ausweglosen Lage bewußt waren, verdeutlicht ein Ereignis, was sich um den 23. Februar ereignet haben soll.

Der Dorfgendarm, der Kontakt zu der 6. SS-Gebirgsdivision bei Pellingen aufnehmen wollte, was für Wiltingen sicherlich verheerende Folgen gehabt hätte, sei von Soldaten unter dem Vorwand, er solle sich bei dem Ortskommandanten im Bunker „Im Mühlenberg“ melden, zum „Carlweg“ (Braunfelsstraße) gelockt, dort erschossen und unter eine Brücke über den dort verlaufenden Panzergraben geworfen worden. Nach amerikanischen Berichten waren die Soldaten „mehr mit dem Konsum der in den Kellern lagernden Weinbestände beschäftigt, dadurch mehr oder minder tagelang in einem Rauschzustand und zu einer Verteidigung des Dorfes überhaupt nicht mehr fähig“ und willens.

Durch Luftaufklärung besaßen die US-Streitkräfte seit längerem Kenntnisse über Panzergräben, Bunker und Panzersperren in der Gemarkung.

Die Furcht vor schweren Kämpfen aufgrund der Unwissenheit ob der Stärke des Gegners erklärt ihr weiteres Vorgehen.

Vormittags wurden auf dem Kanzemer Wald von einer Sonderabteilung für psychologische Kriegsführung, unterstützt durch das 609. Panzerjägerbataillon Geschütze und Lautsprecher in Stellung gebracht. Flugblätter wurden abgeworfen und ein Beobachtungsflieger kreiste pausenlos über dem Ort. Gegen 11 Uhr ertönte ein Kapitulationsaufruf: „Achtung! Wiltingen ist ringsumschlossen, ein Entrinnen ist unmöglich, darum, ihr Soldaten, kommt aus den Bunkern heraus, ergebt euch und sammelt euch auf den Bahngleisen zur Gefangenschaft, ihr Zivilisten aber geht alle in die Kirche, noch 2 Minuten und 30 Sekunden und wir schießen.“

 

Eine amerikanische Panzerdivision befinde sich in der Nähe und alle Nachschublinien seien abgeschnitten; ein Entsatz des Ortes unmöglich. Eine Patrouille stieß in den Ort vor. Die noch ca. 500 verbliebenen Wiltinger kamen aus ihren Kellern und weiße Fahnen wurden gehißt. Der Lautsprecher wiederholte nach kurzer Pause die Aufforderung und drohte: „Noch 1 Minute und 30 Sekunden und wir jagen das Dorf durch Artilleriefeuer und Luftbombardement in die Luft!“ Nach kurzer Zeit sichtete man Soldaten, die sich aus ihren Bunkern herausbewegten.

 

Einige Wiltinger sollen die zum Teil sehr jungen Soldaten beschworen haben, sich zu ergeben und nicht durch einen sinnlosen Kampf das gesamte Dorf der Zerstörung preiszugeben. Zwei Soldaten, die Richtung Gongler zu fliehen versuchten, wurden vom Kanzemer Wald aus unter Feuer genommen und getötet. Der junge Ortskommandant, der seinen Bunker nicht verlassen wollte, wurde von seinen eigenen Soldaten gefesselt zur Sammelstelle geführt. 

Von drei Seiten besetzten nun 3 Bataillone des 376. Infanterieregiments der 94. US-Infanteriedivison den Ort: von Schoden, dem Wiltinger Wald und vom Scharzhof aus. Die friedliche Besetzung ging rasch und reibungslos vonstatten. Ca. 250 Wehrmachtsangehörige wurden entwaffnet und gefangengenommen. 

Die Zivilbevölkerung wurde zunächst im Hof des Weingutes Turbing in der Scharzhofstraße gesammelt. Amerikanische GIs durchsuchten jedes Haus nach Soldaten und Waffen. Alle Waffen mußten abgeliefert werden. Nachdem dies geschehen war, wurden die Zivilisten in die Kirche beordert.

Dort stimmten die verbliebenen Wiltinger aus Freude über das für sie glückliche Kriegsende und dem Ende der Furcht Danklieder an. „Großer Gott, wir loben Dich“ wurde gesungen. In der Kirche hielt anschließend der US-Kommandant eine Ansprache, die laut Pastor Henn lautete: „Wiltingen ist die erste deutsche Stadt (!), die ohne Kampf in unsere Hände fällt. Wir kommen nicht als eure Befreier, sondern als eure Feinde. Wir werden Befehle erteilen und ihr habt zu gehorchen!“

 

Das Verlassen des Ortes, jede Versammlung, auch der Gottesdienst wurden für 8 Tage verboten. Eine gewisse Lockerung des Ausgangsverbotes, um das Vieh zu tränken und Wasser besorgen zu können, konnte erreicht werden. Der amerikanische Frontkommandant bat Pastor Henn, mehrere „Nicht-Nazis“ als Kandidaten für das Amt des Ortsbürgermeisters (damals: Ortsvorsteher) vorzuschlagen.

 

Michel Zeimet wurde daraufhin von den Amerikanern ernannt. Er wurde bei den ersten Gemeinderatswahlen am 15. September 1946 in seinem Amt, das er bis 1952 innehatte, bestätigt. Damit war die Versammlung beendet und die Leute durften in ihre Häuser zurückkehren. Man wurde aber ermahnt, in den Kellern zu bleiben, da ein Beschuß Wiltingens durch deutsche Artillerie weiterhin möglich sei. Die Frontleitung zog ins Pfarrhaus. Das 2. Bataillon quartierte sich in Wiltingen ein, um am nächsten Tag auf Kommlingen vorzustoßen.

 

In der Nacht zum 2. März fielen um die Kirche etliche Schüsse. Der Verdacht fiel auf die Zivilisten, da sich ja keine Soldaten mehr im Ort befanden. Um 1 Uhr nachmittags wurde eine erneute Versammlung in der Kirche einberufen, auf der der amerikanische Ortskommandant mit harten Sanktionen drohte. Pastor Henn gelang es jedoch, indem er für Ruhe von Seiten der Zivilisten garantierte, die Situation zu beruhigen. Tatsächlich blieb es bei diesem einen Vorfall. Der gefesselte deutsche Ortskommandeur soll sich befreit und, nachdem er von amerikanischen Soldaten entdeckt worden war, auf diese geschossen haben. Er wurde verwundet und abtransportiert.

 

Das 1. Bataillon der US-Truppen stieß von Wiltingen in nördlicher Richtung vor und kam noch am 1. März ca. 1,5 km über den Ort hinaus. Dabei wurden 25 Schützengräben und Bunker „gesäubert“. Diese Einheiten unter US-Major Dossenbach zogen den Bahngleisen entlang weiter nach Filzen.

Das 3. Bataillon zog noch am Nachmittag des 1. März Richtung Oberemmel und Tälchen weiter. Vereinzelt kam es noch zu Kämpfen. Ebenfalls noch am 1. März wurde Konz kampflos besetzt, tags darauf Kommlingen. 

Am nächsten Tag, dem 2. März, wurden sämtliche Bunker an der Saar von den Amerikanern gesprengt bzw. unbrauchbar gemacht.

Bei der deutschen Armeeführung herrschte in den folgenden Tagen Unklarheit, was mit den eigenen Truppen im Raum Konz-Wiltingen geschehen sei. Am 3. März meldete General Foertsch, Oberbefehlshaber der 1. Armee, der Heeresgruppe Mitte: „Einwandfrei klar ist, daß in Wiltingen keine eigene Truppe mehr ist. Ein Soldat mit entsprechender Meldung ist zurückgekommen. In Oberemmel steht auch niemand mehr.“

 

In der folgenden Woche befanden sich viele amerikanische Soldaten in Wiltingen. Öfters wurden die Häuser und Keller kontrolliert, doch gab es keine Zwischenfälle. Am 6. und 7. März ließ Pastor Henn die Kirche wieder einräumen. Die Einrichtung war wegen der heranrückenden Front im Januar 1945 in den Keller des Pfarrhauses gebracht worden.

Am 8. März wurde mit einem festlichen Dankgottesdienst, dem ersten seit dem 23. Januar, das Ende des Krieges in Wiltingen gefeiert.

(Thomas Müller)